AllerHand

Kunstprojekt im öffentlichen Raum‍
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Standort

Puschkinstraße 44, Schwerin (Fassade Schlachtermarkt)

Einweihung

02. Oktober 2024 | 18:30 Uhr

Hintergrund

Bereits 2021 hat sich der Schweriner Künstler Tino Bittner mit der herzoglichen Ahnengalerie im Schweriner Schlossmuseum als Teil der Sammlung der Staatlichen Schlösser und Gärten Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt.

In der weiteren Auseinandersetzung mit Gesten und Affekten (Landesstipendium 2023 in Malmö über Künstlerhaus Lucas, Ahrenshoop) nähert Bittner sich nun mit seinen Fragestellungen der Galerie Alte Meister und entwickelt seine Arbeit als Serie im öffentlichen Raum.

Ausgangsbild

Singender Zinkenspieler / Flötenspieler (1623)
Gerrit van Honthorst (1592-1656)
Sammlung Alte Meister
Staatliches Museum Schwerin

Idee & Konzept

Herzog Christian Ludwig II. (1683- 1756) legte den Grundstock für die Sammlung der heutigen Gemäldegalerie mit holländischer und flämischer Malerei aus dem 17./18. Jh. sowie Werken des französischen Hof- und Jagdmalers Jean-Baptiste Oudry, die durch die Mecklenburgischen Herzöge ständig erweitert wurde. Mit der Abdankung des Großherzogs Friedrich Franz IV. gelangte das großherzogliche Museum 1918 in die Hände des Staates und wurde Landesmuseum.

Die Schweriner Sammlung ist mittlerweile eine der größten der niederländischen Malerei des 17. und 18 Jahrhunderts. Mit dem aktuellen Umbau soll das Staatliche Museum Schwerin umfangreich saniert und modernisiert werden. Die Wiedereröffnung ist für das Jahr 2025 geplant und und soll im Vorjahr mit entsprechenden Veranstaltungen angekündigt werden.

Aus ausgewählten Gemälden werden Situationen der Gestik in Großaufnahme reproduziert, wobei die Hände als wichtige Elemente originalgetreu wiedergegeben werden, während der Rest des Gemäldes- Figur, Interieur, Staffage- in grober Auflösung als Mosaik bzw. Pixelgrafik erscheint.

Die Gestik mit all ihrer Bedeutung in der Malerei ihrer Zeit wird somit herausgelöst und bekommt eine eigene Präsenz. Allegorische Zuordnungen zu gesellschaftlichem Verhalten, religiösem Ritual, höfischem Zeremoniell oder emotionalem Ausdruck, funktionieren nun nicht mehr und müssen neu in der aktuellen Umgebung geschaffen werden. Es werden Dimensionen des täglichen Miteinanders befragt und somit neu verhandelt.

Dieser Zugriff thematisiert sowohl die Rezeption von Kunst, (hier als Weiterentwicklung der seinerzeit zeitgenössischen Sammlung Christian Friedrichs II.) in ihrer kunstgeschichtlichen Einordnung und zugleich in ihrer Präsens im öffentlichen Bewusstsein sowie deren Vermittlung in die Gesellschaft hinein. Werden die Kunstwerke doch als ausgewähltes Zitat verfremdet in den Stadtraum gespiegelt und somit allen Menschen zugänglich.

Somit bietet sie eine neue Projektionsfläche für die Reflexion der eigenen Handlungsfelder und Potenziale, als zeitlose Erinnerung an das Menschsein. Was in den Wahrnehmungserfahrungen als flüchtig etabliert ist, nämlich Handgesten in einer festen materiellen Umgebung, wird nun zu einer stabilen Komponente in einer flüchtigen, sich schnell verändernden Zeit. In der Arbeit ist eine spielerischer Auseinandersetzung ebenso angelegt wie die Einladung, sich vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Geschehnisse seiner selbst zu vergegenwärtigen.

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AllerHand

Tino Bittner | Oktober 2024
Puschkinstraße 44, Schwerin
(Fassade Schlachtermarkt)
Bis zur Wiedereröffnung des Staatlichen Museums Schwerin im Herbst kommenden Jahres, sind zwei weitere Fassaden geplant.

Kuratorentext

Gesten gehören zu den ersten Eindrücken, die Betrachtende von Gemälden erhalten. Sie bleiben nicht unbedingt zuvorderst in der Erinnerung. Doch wie die Kunsttheorie seit der Antike diskutiert, teilt sich über Bewegungen des Körpers, über Gesten der emotionale Gehalt von Figuren und Interaktionen mit, eben der Eindruck. In manchen Fällen allerdings steht eine Geste ganz im Vordergrund, so etwa bei dem Singenden Zinkspieler von Gerard van Honthorst, der einstweilen noch in der Ausstellung „Glanzstücke im Dialog“ im Schweriner Schloss zu sehen ist und später ein Hauptwerk in der neuen Dauerausstellung des renovierten Staatlichen Museums sein wird. Während der Musikant sich zurücklehnt, streckt er beide Hände nach vorn, sodass sie durch das Fenster, an dem er steht, zu uns herauszuragen scheinen.

Tino Bittner hat in seinem jüngsten Projekt die Geste des Musikanten nicht nur aus dem Museum auf die Straßen Schwerins geholt und dort wahrhaft großgemacht. Er hat sie auch hervorgestellt, ohne sie aber aus dem Kontext des Bildes zu lösen. Einen Ausschnitt des Bildes hat er auf einer dreistöckigen Fassade abgebildet. Man sieht den Oberkörper des Musikanten mit den Händen. Doch alles außer den Händen ist – für zeitgenössische Sehgewohnheiten nicht ungewöhnlich – stark verpixelt. Die Hände dagegen behalten ihre illusionistische Darstellungsweise. Je mehr man herantritt, desto stärker löst sich der Grund in viele, jeweils einfarbige Bildquadrate auf, während der Illusionismus der Hände diese umso mehr hervorhebt.

Es entsteht eine merkwürdige Umkehrung der üblichen Wahrnehmungsfolge, wo die Gesten einem gewissermaßen den Weg ins Bild ebenen, indem sie den emotionalen Gehalt und damit häufig die Handlung erklären, bis man diese vollständig erkannt hat und die einzelne Geste oder Handbewegung sich nicht mehr ins Gedächtnis prägt. Hier führt der Weg ins Bild, auf das Bild zu oder jedenfalls der Weg zum Bild dazu, dass die Geste, die Handbewegung immer stärker hervortritt. Sie dient der Darstellung nicht mehr, sie ist die Darstellung, sie ist das Thema. Sie verhilft nicht zum Verständnis, sondern will selbst verstanden und gesehen werden.

Und tatsächlich, das ist vielleicht das Überraschendste, bleibt der emotionale Gehalt erhalten, die Stimmung, eine musische Sensibilität gepaart mit selbstsicherem Auftritt, ist an diesen im Straßenbild riesigen Händen sehr gut wahrnehmbar. Tino Bittners Arbeit stellt diese Erkenntnis heraus: dass die Geste das Bild „macht“. Überspitzt gesagt kann die Geste auf das Bild verzichten, nicht aber das Bild auf die Geste. Das ist doch allerhand!

Tino Bittner wählt mit der Wandmalerei eines der kulturgeschichtlich ältesten Verfahren, um sein Bild des Zinkspielers bzw. sein Bild von der Geste des Zinkspielers mit anderen zu teilen. Bereits während des Malens wurde das Werk unzählige Male digital geteilt und potentiell auch wieder bearbeitet. Nicht nur in der Stadt, sondern auch im Internet findet es Verbreitung. Als Bildausschnitt, der ein Vorbild aus der analogen Welt adaptiert, stellt Bittners Werk gewissermaßen ein Meme in der physischen sowie in der digitalen Welt dar.  Wie bei „klassischen“ Memes wird ein Widerspruch fokussiert. Honthorsts manuell gefertigtes Ölgemälde aus dem 17. Jahrhundert trifft auf digitale Technik.

In Bittners Werk ist ein Fingerzeig zu erblicken, der auf die Produktion des Werkes zwischen Pigment und Pixel verweist. Mit den Händen ist die Grundvoraussetzung der klassischen Malerei dargestellt, während die Quadrate im Hintergrund mit den Grundelementen maschinell erzeugter Bilder korrespondieren. Künstlerische Transformationsprozesse werden ins Bild gesetzt, insbesondere die Schnittstelle zwischen analogen und digitalen Methoden. Auf diese Weise regt das Werk zur Reflexion über die Position der Malerei in der digitalen Welt an. Und umgekehrt lässt Bittners Werk über digitale Bilder nachdenken, denen oft nicht der Status eines autonomen Kunstwerkes zuerkannt wird.

Wie Gesten stellen auch Bilder Kommunikationsmittel dar. Ihre Omnipräsenz in der Gegenwart ist ein überaus wichtiger Aspekt für die Wahrnehmung von Tino Bittners Werk. In Verbindung mit den sozialen Medien rangiert heute das Smartphone im Bereich der Produktion, Bearbeitung und Verbreitung von Bildern an erster Stelle. Oftmals werden Bilder über das kleine Display des Smartphones betrachtet, wobei manches Detail erst beim Hineinzoomen erfasst werden kann. Obwohl in den Ausmaßen ungleich größer, lässt sich die Hauswand in ihrem besonderen Verhältnis von Höhe und Breite durchaus mit einem Smartphone vergleichen und wird damit zu einem überdimensionalen Display. Bittners Werk verweist unmittelbar darauf, wie die digitale Welt zunehmend die Ästhetik der analogen Welt prägt

Die Fassade entfaltet in warmen Farbtönen, die sich in strengen Quadraten abwechseln, eine Wirkung über den ganzen Schlachtermarkt hinweg. Sie zieht den Blick auf sich, gibt dem Platz einen neuen Bezugspunkt, gibt ihm (abgesehen vom Brunnen) überhaupt zum ersten Mal Gestalt. Im übertragenen Sinn ergreifen die Hände diesen bisher gesichtslosen Platz und gestalten ihn neu. Es ist ein Glücksfall, dass die Stadt sich auf dieses Projekt eingelassen hat und ein Glücksfall für das Museum, dass eines seiner Meisterwerke auf diese Weise aus dem Museum hervortritt und einen Auftritt in der Stadt erhält.

September 2024

Dr. Sarah Schönewald, Kuratorin, Staatliches Museum Schwerin SSGK

Dr. Gero Seelig, Kurator, Staatliches Museum Schwerin SSGK

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Prozess

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Danksagung

Ich bedanke mich bei allen Förderern, Kooperationspartnern und Unterstützern und jedem, der dazu beigetragen hat, dass der Auftakt von AllerHand so gut gelungen ist.
Danke Anke für Dein Fenster und Felix für die Aufnahmen, Christin für Deine Tipps und alle Medienschaffenden für die umfangreiche Berichterstattung.

Besonderer Dank geht an mein Team: die „Color-Crew“ Sigi und Henry, meinen „Technischen Direktor“ Thomas, meine Galerie Dezernat5 und an meine Kinder!

T. Bittner

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